AKTIONEN - Prodiumsdiskussion: Kirche mit Cukunft (?)

Sehr geehrte Damen und Herren,

die "Zukunft der Kirche", Zukunft mit oder ohne C geschrieben, ist in aller Munde.
Um es gleich deutlich zu sagen: wir als Vikariatskurs C haben ein existentielles Interesse daran, daß dieser Reformvorlage ein schneller und umfassender Erfolg beschieden ist. Deshalb haben wir Sie zu dieser Veranstaltung eingeladen. Gleichwohl gebietet es die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit, daß ich mich auf diejenigen Reformansätze konzentriere, die aus unserer Perspektive sowohl für die EKvW als auch für uns als Vikarinnen und Vikare des C-Kurses von elementarer Bedeutung sind. Dies hat weniger mit einer selektiven Wahrnehmung als vielmehr mit Schwerpunktsetzung zu tun, ohne die es in einer zeitlich begrenzten Veranstaltung nicht gehen kann.

Ich habe mir drei Punkte herausgesucht und möchte diese kurz anreißen; ich hoffe, daß wir in der anschließenden Diskussion noch Gelegenheit haben werden, den einen oder anderen Punkt zu vertiefen. Meine 3 Stichworte lauten 1. Mitgliederorientierung, 2. Veränderung des Pfarrbildes und 3. Qualitätssicherung.

1. Wir begrüßen ausdrücklich das in der Reformvorlage geäußerte Bestreben nach mehr bzw. überhaupt nach Mitgliederorientierung. Dabei ist uns wichtig, die bisher oft gepflegte Binnenkirchlichkeit, die weitgehend auf Erhalt des Althergebrachten in den Gemeinden ausgerichtet ist, zu überwinden. Das bedeutet, bestehende Milieus in unserer Kirche kritisch zu analysieren und auch die Frage nicht auszuklammern, ob wir es uns in den letzten Jahrzehnten angesichts kleiner werdender Gemeinden, aber dennoch auch immer noch steigender Kirchensteuereinnahmen, nicht zu bequem gemacht haben in unseren gemeindlichen Nischen.

Der extrem schnelle Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse macht es u.E. erforderlich, sich auf neue Veranstaltungsangebote und neue Konzepte für die Gemeindearbeit einzustellen. Die Zielbeschreibung der Reformvorlage, nämlich "Wachsen gegen den Trend", heißt eben nicht nur "langsamer kleiner werden als prognostiziert", sondern meint hoffentlich auch wirklich "Wachsen"; ich beziehe dies nicht ausschließlich auf Mitgliederzahlen, sondern mehr noch auf die inhaltlich-thematische Dimension.

Nicht wirklich überzeugend ist jedoch, wenn die Reformvorlage angesichts der darin vorgestellten scheinbaren Unumkehrbarkeit des Mitgliederverlustes offenbar selbst nicht so recht an die Kraft zum "Wachsen gegen den Trend" zu glauben vermag.

Mitgliederorientierung und "Wachsen gegen den Trend" muß u.E. zur Konsequenz haben, daß unser kirchliches Angebot, das in vielen Gemeinden zweifellos nur einen Bruchteil der Gesamtgemeinde anspricht, enger auf die Lebenswirklichkeit der Menschen abzustimmen ist. Ausgehend davon, daß religiöse Vergewisserung und Sinnsuche ein jedes Menschenleben begleiten, darf sich unsere Arbeit nicht mehr länger darauf beschränken, die religiösen, kasusbedingten und auch geselligen Bedürfnisse nur derjenigen zu befriedigen, die ohnehin und schon immer das kirchliche Angebot für sich in Anspruch genommen und es dadurch zugleich auf ein bestimmtes und zumeist enges Spektrum festgelegt haben. Mitgliederorientierung und "Wachsen gegen den Trend" verlangt u.E. von allen, die in der Kirche verantwortlich arbeiten, die Beantwortung und konzeptionelle Umsetzung der Frage: wie soll Kirche an dem Ort, an dem ich für sie mit verantwortlich bin, im Jahre 2010 oder 2015 aussehen? Ohne diese positive inhaltliche Ortsbestimmung, ohne eine solche Vision bleibt die Kirche in der Rolle des Reagierens, vor allem des kurzfristigen Behebens finanzieller Engpässe befangen.

Wir als Vikarinnen und Vikare, und nur für diese Berufsgruppe kann ich hier sprechen, können im Vergleich zu allen Theologengenerationen vor uns einen entscheidenden Unterschied für uns reklamieren: wir sind die ersten in der Geschichte der EKvW, die auf die grundsätzliche Fähigkeit und Bereitschaft, die nun auch von der Reformvorlage postulierten Qualitätsmerkmale kirchlicher Zukunftsentwicklung auch umsetzen zu können, bereits einmal überprüft worden sind. Wir sind mithin die ersten, die den Beginn einer kirchlichen Personalentwicklung für Theologinnen und Theologen bereits kennengelernt haben. Mitgliederorientierung und "Wachsen gegen den Trend" gehören bereits zu den Eckpfeilern unseres eigenen Zugangs zur Vikariatsausbildung. Anders ist uns eine zukunftsfähige Kirche nicht vorstellbar.


Damit komme ich zum 2. Punkt: Menschen, die in der Kirche arbeiten. Von besonderem Interesse ist hier für uns selbstverständlich die Reform des Pfarrbildes. Damit sollen die Erörterungen der Reformvorlage zur ehrenamtlichen Arbeit sowie zur hauptamtlichen Arbeit anderer Berufsgruppen keineswegs herabgewürdigt oder hinten angestellt sein - im Gegenteil! Wir als Vikarinnen und Vikare wollen keine auf das Pfarramt konzentrierte Kirche, sondern eine echte Gemeinschaft der Dienste. Und dazu gehört zweifellos eine grundlegende Neuorientierung im Pfarrberuf und im Amtsverständnis. Die Reformvorlage stellt hier bereits im Grundsatz richtige Fragen: Sind Pfarrerinnen und Pfarrer für ihren anspruchsvollen Beruf richtig ausgebildet? Sind nicht viele Pfarrerinnen und Pfarrer für diese sich rasant entwickelnde Gesellschaft viel zu weltfremd? Wie steht es mit der Qualität der Arbeit im Pfarramt, wie de facto mit der Rechenschaftspraxis? Wie sieht es mit der Besoldungsstruktur aus? - Sämtlich suggestive Fragen, die den Verdacht implizieren, daß hier dringend Handlungsbedarf besteht.

Bedauerlicherweise klammert die Reformvorlage die entscheidende Problematik in bezug auf Pfarrerinnen und Pfarrer aus. Diese Problematik läßt sich beschreiben mit der Frage: wie bekomme ich denn die richtigen Personen auf die entsprechenden Stellen? Oder: wie können Stelleninhaber und -inhaberinnen auf das vorgestellte Anforderungsprofil verbindlich verpflichtet werden?
U.E. ist in der Vorlage hier noch gründlich nachzubessern. Es reicht nicht aus, theologisch richtig, gesellschaftspolitisch relevant und durch die Kirchenordnung abgesichert zu argumentieren, was für Anforderungen an das Pfarramt der Zukunft gestellt werden. Vielmehr ist zu beschreiben, wie die praktische Umsetzung dieses geschärften Anforderungsprofils gedacht wird und welche rechtlichen Konsequenzen dies haben muß. Andernfalls bleibt der höchst unbefriedigende Eindruck bestehen, daß z.B. der Bereich des Pfarrdienstrechts von Reformen ausgeklammert und damit auch auf eine echte Reform zugunsten einer Gemeinschaft der Dienste letztlich verzichtet werden soll.

Ein Beispiel: das geltende Pfarrdienstrecht setzt Probe- und Entsendungsdienst für alle Theologinnen und Theologen voraus, die das Vikariat absolviert haben und die Ordination oder auch ein Dienstverhältnis auf Lebenszeit anstreben. Diese Regelungen entstammen einer Zeit, in der es außer Frage stand, daß in der Regel ohnehin alle, die das 2. theol. Examen am Ende des Vikariats bestehen, in den Probedienst übernommen werden können und ihnen somit zumindest die Chance, auf eine ordentliche Pfarrstelle gewählt zu werden, eröffnet ist.

Obwohl aus vielen Gründen, die uns allen bekannt sind, diese Voraussetzungen zumindest für sehr lange Zeit entfallen sind, wird seitens der EKvW bislang in vehementer Abwehr jeglicher Diskussion an diesen obsoleten Übernahmegrundsätzen festgehalten: angefangen von einer immer rigideren prozentualen Einschränkung des Dienstumfangs von Probedienststellen bis hin zum jetzt drohenden Berufsverbot fertig ausgebildeter Theologinnen und Theologen, denen der Zugang zum Probedienst administrativ verwehrt werden soll. Der Ausschluß von der Bewerbungsfähigkeit stellt u.E. eine paternalistische Personalpolitik dar, die dem Geist und der Intention der Reformvorlage mit dem Ziel von mehr Mitgliederorientierung, mehr Initiative und Leistung zutiefst zuwiderläuft. Die Reformvorlage subsumiert die aufgezeigte Diskrepanz unter der lapidaren Feststellung einer personalpolitischen "Notbremse", welche habe gezogen werden müssen. - Richtig daran ist: man zieht die Notbremse, und dann steht der Zug! Und dann: dann bewegt sich eben gar nichts mehr.

Das kann u.E. jedoch mit "zukunftsorientierter Personalentwicklung" wohl nicht gemeint sein; hierin können wir auch nicht erkennen, daß Kirche "in ihren Strukturen den Wandel von der Behördenstruktur und Beamtenmentalität zur mitgliederfreundlichen, unternehmerischen und d.h. zur initiativen und flexiblen Organisation vorantreibt" (S. 8). "Die Bereitschaft zu Reformen wächst in der Kirche", so wird konstatiert. Und weiter heißt es: "Wir brauchen Innovationswettbewerbe in der Kirche, um in den eigenen Strukturen und Arbeitsformen zukunftsfähig zu werden." In Wahrheit erleben wir als Vikarinnen und Vikare derzeit das Gegenteil: nie war die Ausbildungssituation so diffus wie heute; nie bestand für Vikarinnen und Vikare mehr Rechtsunsicherheit als heute; und unsere durchdachten Alternativvorschläge zu einer situationsadäquaten Neuregelung des Zugangs zum Pfarramt werden von den Verantwortlichen konsequent ignoriert.

In dem Abschnitt, wo die Reformvorlage auf die Stellenplanung für Pfarrerinnen und Pfarrer eingeht, ist sie damit u.E. nicht konsequent genug. Hier heißt es vage: "es sollten Regelungen gefunden werden, um die drohende Verfestigung von Statusunterschieden unter der Theologenschaft zu verhindern." Vorschläge dazu, wie dieser im Grunde richtige Gedanke umzusetzen wäre, gibt es nicht. Zunächst ist die "Notbremse" gezogen, der Zug steht, und: dieser Zug ist eben voll. Ob aber, um im Bild zu bleiben, alle Passagiere eine gültige Fahrkarte haben, ist aufgrund des bestehenden Pfarrdienstrechts kaum noch überprüfbar. Vielleicht liegt es auch daran, daß es zu wenig geeignete Kontrolleure gibt, die die Passagiere in den Schlafwagen aufwecken. Einige Passagiere hätten evt. viel früher aussteigen oder Züge in andere Richtungen nehmen müssen.

Daß der Zug nun vollbeladen steht und nicht wieder in Fahrt kommt, damit darf sich eine wirkliche Reformvorlage u.E. aber nicht abfinden. Hier sind neue Wege zu beschreiten, um Abteiltüren wieder zu öffnen und einen Passagierwechsel auch vornehmen zu können.

 

Damit komme ich 3. noch kurz zur Qualitätssicherung. Ich sage es noch einmal: wir Vikarinnen und Vikare wollen, daß die Reformvorlage mit ihren wesentlichen Zielbeschreibungen ein Erfolg wird. U.E. bringen wir bereits ein hohes Maß an qualitativ guten Voraussetzungen mit, die den Intentionen der Reformvorlage entsprechen. Wir wollen, mit der Reformvorlage, "verbindliche Standards und Zielvereinbarungen sowie regelmäßige Überprüfung kirchlicher Arbeit."

Wir sind durch die Erfahrungen aus anderen Arbeitsbereichen, die wir gezwungenermaßen vor dem Vikariat kennengelernt haben, mit regelmäßigen, persönlichen Arbeits- und Laufbahngesprächen vertraut und fühlen uns diesbezüglich in der Kirche in ein System versetzt, dem Personalentwicklung völlig fremd ist, wo stattdessen ein System "Dienstherr und Dienstuntergebener" das Denken in vielen Leitungspositionen dominiert.

Wir als Vikarinnen und Vikare wollen mit der Reformvorlage eine aufmerksame Wahrnehmung und Förderung besonderer Begabungen, Qualifikationen und Leistungen in der Kirche. Auch u.E. braucht die Kirche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in ihren Arbeitsfeldern mit zeitgemäßen Mitteln auf hohem Niveau professionell arbeiten. Deshalb erwarten wir von der Landeskirche eine qualitätssichernde, mehr noch eine qualitätsschaffende Personalentwicklung mit entsprechenden Chancen, nicht nur, aber auch für den theologischen Nachwuchs.

Ich danke Ihnen.

 


Als Gäste auf dem Podium haben teilgenommen:

  • Hartmut Anders Hoepgen,
    Superintendent des Kirchenkreises Dortmund-West,
    Vorsitzender der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund,
    Leiter der Projektgruppe III (Kirchenbild - Pfarrbild - Mitarbeiterentwicklung) von "Kirche mit Zukunft"
  • Günter Böhm,
    Vorsitzender des EKD-Bildungsausschusses, Honorarprofessor für Religionspädagogik,
    Leitender Regierungs-Schuldirektor a.D.,
    Gründer der Bildungsoffensive "Evangelisches Forum Münster"
  • Alfred Buß,
    Superintendent des Kirchenkreises Unna,
    Leiter der Projektgruppe I (Kirchengemeinde und Kirchenkreise) von "Kirche mit Zukunft"
  • Christoph Ernst,
    Vikar in Dortmund-Schüren,
    Mitglied im Kleinen Konvent der Vikarinnen und Vikare der EKvW
  • Christa Thiel,
    Pfarrerin in Dortmund,
    EKvW-Beauftragte für den privaten Rundfunk,
    Mitglied im Vorstand des Pfarrvereins der EKvW
  • Christel Weber,
    Pfarrerin in Borchen,
    Mitglied der Projektgruppe III (Kirchenbild - Pfarrbild - Mitarbeiterentwicklung) von "Kirche mit Zukunft"